Riskmanagement durch strategisches Patentmanagement

Beitrag von Beat Weibel, Dipl.-Ing. ETH, LL.M., CH und EP Patentanwalt Chief IP Counsel Siemens AG

Strategisches Patentmanagement bezieht sich auf den gezielten und strategischen Umgang mit Patenten eines Unternehmens. Es umfasst die Elemente Schutz, Verteidigung und Verwertung. Wird das strategische Patentmanagement als wertgetriebenes Management ausgeführt, so ist es in der Lage, geschäftliche Ziele zu unterstützen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Während über Schutz und Verwertung viel geschrieben wird, steht die Verteidigung und damit das Riskmanagement eher im Schatten der Auseinandersetzung in der Literatur. Bei Siemens pflegen wir jedoch einen umfassenden und aufwendigen Ansatz zum Riskmanagement im Patentwesen, was uns bis jetzt vor größeren Patentverletzungsprozessen verschont hat, trotz der Größe und Diversität des Unternehmens. Der folgende Beitrag widmet sich dem Thema des Riskmanagements und stellt bewährte Ansätze vor.

Von Freedom-to-Operate zu Freedom-to-Grow

Übergeordnetes Ziel des Riskmanagements muss sein, dass das Geschäft möglichst störungsfrei, im Sinne von Hindernissen durch Patente oder gar dem Geltend machen von Patenten, arbeiten kann („Freedom-to-Operate“). Dies setzt voraus, dass Gefahrenpotenzial rechtzeitig erkannt und aus dem Weg geräumt wird. Die Überwachung der Patentierungsaktivität auf dem eigenen technischen Gebiet stellt dazu einen Schlüssel dar. Patentüberwachungen werden von zahlreichen Firmen angeboten. Das Prinzip ist im Wesentlichen immer dasselbe: Anhand eines Suchschlüssels werden regelmäßig, z. B. wöchentlich oder monatlich, die neuesten Patentpublikationen (Offenlegungsschriften und/oder erteilte Patente) recherchiert und dem Abonnenten zugestellt. Offenlegungsschriften geben bereits eine Frühwarnung und erlauben, die Erteilung eines Patents zu überwachen. Sobald das Patent erteilt ist, und der Schutzbereich somit feststeht, muss reagiert werden. Allen Überwachungsarten ist gemein, dass es drauf ankommt, dass die überwachten Patentschriften gelesen werden und Störungspotenzial erkannt wird [1]. Dazu ist ein Vergleich mit der eigenen Technologie notwendig. Dieser Abgleich kann auch in Zeiten von künstlicher Intelligenz noch nicht automatisiert erfolgen, da eine systematische Analyse und Aufteilung in Merkmale der eigenen Produkte bzw. noch wichtiger der angestrebten Produktentwicklungen nicht zur Verfügung steht.

Abwehrstrategien

Hat man Störpotenzial einer Patentschrift erkannt, gilt es zu reagieren. Für Offenlegungsschriften kann man sich überlegen, dem Prüfer durch Einwendungen Dritter Patentierungshindernisse wie eigenen Stand der Technik bekannt zu geben. Nachteilig daran ist die Tatsache, dass der Stand der Technik möglicherweise nicht oder nicht gehörig berücksichtigt wird. Dadurch ist die Einwendung eventuell verbraucht.

Bei erteilten Patentschriften ist eine Reaktion in jedem Fall notwendig. Folgende Optionen bestehen:

  • Einspruch oder Nichtigkeit
  • Umgehungslösung
  • Lizenznahme

Von einer Nichtreaktion, z. B. Abwarten bis der Patentinhaber das eigene Unternehmen in Anspruch nimmt, wird hier ausdrücklich abgeraten, da das Problem sonst nur größer wird. Dem Einspruch wird gegenüber einer Nichtigkeitsklage der Vorzug gegeben, da eine Nichtigkeitsklage vor dem BPatG sowieso nur subsidiär nach Ausschöpfung oder Ablauf des Einspruchsverfahren zugelassen wird. Ferner bevorzuge ich den Ansatz, Probleme möglichst frühzeitig und mit dem kleinstmöglichen Eingriff zu beheben. Ein Einspruch ist ein Verwaltungsverfahren und kein Gerichtsverfahren, es ist billiger und präjudiziert ein Nichtigkeitsverfahren nicht. Die Einspruchsfrist beträgt vor dem EPA und dem DPMA neun Monate. Mit dem neuen Einheitspatent und dem einheitlichen Patentgericht (EPG) bestehen weitere Möglichkeiten, da Patente auch zentral vor der Zentralkammer des EPG angegriffen werden können. Sind die Chancen eines Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens gering, z. B. aufgrund fehlenden Standes der Technik, so gibt es in vielen Fällen die Möglichkeit, eine Umgehungslösung zu implementieren. Wird eine störende Patentanmeldung bereits als Offenlegungsschrift entdeckt, so besteht genügend Zeit, eine Umgehungslösung zu implementieren, bis das Patent rechtskräftig erteilt ist.

Ist auch keine Umgehungsmöglichkeit anwendbar, bleibt als letzte Lösung eine Lizenzierung. In diesem Fall ist es möglicherweise von Vorteil gleichzeitig den Rechtsbestand des Patentes durch Einspruch oder Nichtigkeit anzugreifen, um seine Position zu verbessern.

Vor der weit verbreiteten Taktik Stand der Technik und Rechtsbeständigkeitsgutachten in die Schublade zu legen und bei Inanspruchnahme durch den Patentinhaber hervorzuzaubern, wird ausdrücklich abgeraten. Das störende Patent sollte, wenn das Problem noch klein ist, beseitigt werden. Durch die Schubladisierung wächst das Problem (die sog. „Exposure“) nur an, und der Handlungsdruck erhöht sich schleichend.

Schutz/Patentportfolio

Eine weitere Möglichkeit, um Probleme mit Patenten von Konkurrenten zu vermeiden, ist die eigene, pro-aktive Patentierung über die selbst implementierten Lösungen hinaus. Dadurch gelingt es einerseits, einen Schutzzaun um die eigenen Lösungen zu ziehen (sog. „Fencing“) und andererseits verbessert man seine Patent- und Verhandlungsposition für den Fall einer Lizenzierung oder als Gegenschlagspotenzial in einem Konfliktfall.

Kreuzlizenzen

Stößt man auf einen Mitbewerber, dessen Patente immer wieder Störpotenzial hervorrufen, so kann es sinnvoll sein, eine Kreuzlizenzvereinbarung abzuschließen. Voraussetzung ist natürlich, dass die eigene Patentposition auch für den Konkurrenten von Interesse ist.

Verwertung/Rufschaffung

Ein weiteres Element des erfolgreichen Risikomanagements ist die Schaffung eines Rufes, ein Patentportfolio mit hohem Gegenschlagspotenzial zu besitzen und dieses auch durchzusetzen. Dadurch gelingt es, sich im Markt als ernst zu nehmender Gegner zu positionieren.

Zusammenfassung

Militärische Terminologie ist aus verständlichen Gründen in der heutigen Zeit nicht sehr populär, jedoch leider aktueller denn je. Als Offizier der Schweizer Armee a. D. lassen sich im Patent-Risikomanagement jedoch viele Parallelen zur militärischen Verteidigung ziehen. Ein erfolgreiches Risikomanagement zeichnet sich durch die drei „A“ aus: sorgfältige Aufklärung, gezielte Abwehr und ernst zu nehmende Abschreckung. Siemens als Weltmarktführer in der Industrieautomatisierung und damit als Unternehmen mit einem außerordentlich großen Exposure ist es durch ein solches aktives und umfassendes Risikomanagement gelungen, für sich nicht nur ein Freedom-to-Operate, sondern ein Freedom-to-Grow zu erreichen.

Literatur

[1] Beat Weibel in Schweizer IP Handbuch, § 7, Helbing Lichtenhahn 2021; Weibel B, Freytag R (2019) “Why Digitalization need Value-Driven IP Strategies” LES Nouvelles, December 2019, pp 268-273.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 06/2023 NOV/DEZ

Hier finden Sie weitere Beiträge zum Thema "Patentrechte"