Eisenbahnpolitik des Bundes

Bauen, Ausrüsten und Digitalisieren für die leistungsfähige Schiene der Zukunft

Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Corinna Salander, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Leiterin der Abteilung Eisenbahnen

Die zum Jahresstart vollzogene Verschmelzung der DB Netz AG mit der DB Station und Service AG ist viel mehr als nur ein formaler Akt. Sie ist Ausdruck der neuen, veränderten Schienenverkehrspolitik des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) unter Bundesminister Dr. Volker Wissing. Diese umfasst drei zentrale, ineinandergreifende und im aktuellen Koalitionsvertrag verankerte Elemente: der Aufbau einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte, die Erweiterung der Kapazität der Infrastruktur und die Erhöhung der Investitionsmittel für die Bahninfrastruktur.

Bausteine einer neuen Schienenverkehrspolitik

Unter Gemeinwohlorientierung – nicht zu verwechseln mit Gemeinnützigkeit – ist ein effizientes, gesamtnetzbezogenes, nutzerorientiertes und diskriminierungsfreies Infrastrukturmanagement zu verstehen, das die gesetzlichen Anforderungen an Transparenz und Beteiligung der Nutzer und sonstiger Dritter in Bezug auf das Infrastrukturangebot sowie bei Planungen und Entscheidungen des Unternehmens in möglichst wirksamer Art und Weise erfüllt. Dafür erhält die neue DB InfraGO AG eine Satzung, in der das BMDV seine Vorstellung von Gemeinwohl verankert hat. Es ist klar, dass dieser Prozess mit den organisatorischen Änderungen nicht abgeschlossen sein kann, sondern kontinuierlich weiterverfolgt werden muss. Noch in diesem Jahr werden weitere Steuerungselemente, z.B. für eine nachhaltige, transparente Infrastrukturplanung oder die Finanzierungsarchitektur folgen, so dass diese Ausrichtung künftig auch an vielen anderen Stellen wahrnehmbar sein wird, bis hin zu den Zielvereinbarungen der Vorstände.

Der zweite Baustein, die Kapazitätserweiterung oder auch Engpassbeseitigung, besteht seinerseits aus zwei Komponenten: der Sanierung des bestehenden Netzes im Rahmen der sogenannten Hochleistungskorridore und dem Neuund Ausbau durch Bedarfsplanvorhaben aus dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Damit soll unter anderem auch der Zielfahrplan des Deutschlandtaktes erreicht werden. Beide Komponenten sind enorm wichtig und leisten einen entscheidenden Beitrag zur im Koalitionsvertrag festgelegten Verdopplung der Verkehrsleistung im Personenverkehr und der Steigerung des Güterverkehrsanteils auf der Schiene von 25%. Der erste Korridor, die sogenannte Riedbahn, wird im zweiten Halbjahr dieses Jahres nach der Fußball-Europameisterschaft der Herren saniert.

Bereits in der vergangenen 19.Legislatur durfte der Schienenverkehr erhöhte Aufmerksamkeit erfahren, zum Beispiel durch den Schienenpakt, das Bekenntnis zum Deutschlandtakt oder auch durch die Erhöhung und Dynamisierung der Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG). Diese Ziele hat die Ampelkoalition im aktuellen Koalitionsvertrag präzisiert und signifikant verstärkt. Alle Abb.DB AG Mit deutlich erhöhten Haushaltsmitteln sollen in den kommenden Jahren nicht nur die großen Aus- und Neubauprojekte oder die Korridorsanierung gestemmt werden. Ein bedeutender Teil steht auch für die Digitalisierung des Schienenverkehrs, für die Förderung des Güter- und kombinierten Verkehrs, für Lärmschutz, Elektrifizierung, Bahnhofsprogramme, Barrierefreiheit oder auch die Erhöhung der Regionalisierungsmittel zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zur Verfügung.

Einladendes Umfeld für Fachkräfte und Innovationen

All diese Initiativen haben schon sehr viel Bewegung in das Bahnsystem und die Branche gebracht. Allerdings ist es eine der wirklich großen Herausforderungen dieser neuen Ära, die personellen Ressourcen und Kompetenzen bereitstellen zu können. Sowohl für die konventionelle Durchführung von Baumaßnahmen als auch für die Entwicklung innovativer Technologien und Prozesse werden Menschen gebraucht, die das nicht nur wollen, sondern auch können. Und da kommen natürlich zu einem ganz entscheidenden Teil Ingenieurinnen und Ingenieure ins Spiel, denn der Großteil dieser Aufgaben sind technischer Natur. Und darauf soll im Folgenden eingegangen werden.

Hier sind insbesondere diejenigen von uns gefordert, die in der Ausbildung junger Ingenieurinnen und Ingenieure aktiv sind – und zwar nicht nur so, dass die handwerkliche und akademische Ausbildung interessant und praxisnah gestaltet wird, sondern auch dadurch, dass wir in unserem Umfeld so viele junge Menschen wie möglich schon während der Schulzeit für die Wahl einer technischnaturwissenschaftlichen oder Ingenieursausbildung begeistern. Die derzeit sehr positive Einstellung zum Bahnsystem kommt dem sicherlich entgegen. Doch etwas nur zu nutzen oder Verantwortung für die Ausgestaltung zu übernehmen, sind immer noch zwei verschiedene Paar Schuhe. Gerade die Chance, die Schiene als ein System im Umbruch aktiv mitgestalten zu können, sollte ein besonderer Anreiz für die nächste Ingenieursgeneration sein. Denn die Bahnbranche kann jede und jeden gebrauchen, und es liegt an jeder und jedem von uns, nachhaltiges Interesse beim Nachwuchs zu wecken!

Interessante und aktuelle Themen gibt es nämlich zu Hauf. Beginnen kann man zum Beispiel mit der Digitalisierung. Die Stichworte, die sich auch in den eisenbahnbezogenen Förderprogrammen des BMDV widerspiegeln, sind natürlich allen voran die Einführung des European Train Control System (ETCS) – oder auch in Verbindung mit dem Zugfunk erweitert zum European Rail Traffic Management System (ERMTS). Die zunehmende Ortsunabhängigkeit der Leit- und Sicherungstechnik lädt zu weiteren Entwicklungen bei der Aufteilung auf Fahrzeuge und Infrastruktur ein. Aber genauso auch die Einführung von 5G-Funksystemen oder des Automatischen Zugbetriebes (ATO). Natürlich zahlen aber auch Themen wie die vorausschauende Instandhaltung (predictive maintenance) oder der Einsatz von KI in der Planungsbeschleunigung auf die Digitalisierung ein. Wichtige Schritte können auf jeden Fall durch die Weiterentwicklung des Building Information Modelling (BIM) im Bauwesen oder der digitalen Projektentwicklung im Fahrzeugbereich gegangen werden. Hier ist der Stand der Technik schon sehr weit, nun geht es darum, den Einsatz der Methoden zielgerichtet zu fördern.

Erneuerbare Energien spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Zukunft. Alternative Antriebe sind allerdings schon auf einem guten Pfad der Entwicklung, so dass es hier eher um kreative Formen der Einführung geht. Aber die intelligente Bereitstellung der Energie ist aktuell ein Betätigungsfeld mit spannenden noch offenen Fragen.

Bauprojekte für eine attraktive Infrastruktur

Auf den ersten Blick weniger technisch, aber bei genauerem Hinsehen auch ein Wirkungskreis für technische Berufe ist das Projekt Zukunftsbahnhöfe. Das Ziel ist es, die Start- und Endpunkte jeder Bahnfahrt für die Reisenden so einladend wie möglich zu gestalten. Eine wesentliche Herausforderung der neuen Infrastrukturgesellschaft besteht darin, die Gebäude nicht nur den verschiedenartigen Bedürfnissen der Reisenden, sondern auch denen der jeweiligen Städte und Gemeinden anzupassen. Sieht sich die Gemeinde als Mobilitätshub? Will sie einen Park&Ride-Service anbieten? Will sie Fahrradfahrer mit sicheren Abstellmöglichkeiten unterstützen? Oder sieht die Gemeinde ihr Bahnhofsgebäude im Ortszentrum mit Arztpraxen oder Bürgerservices als eine Einrichtung, in dem der Mobilitätsservice nur eine von mehreren Nutzungen ist?

Die Herausforderung für den Bund wiederum liegt in der Abgrenzung der förderfähigen Gebäudeteile, die nicht kommerziell genutzt werden dürfen, zu den nicht-förderfähigen, kommerziell genutzten. Sehr plastisch lässt sich die Problematik am Dach festmachen, das ja sowohl die kommerziellen Bereiche, als auch die Wartebereiche und Zugänge zur Bahninfrastruktur überdeckt. Hier wird als Lösung ein prozentualer Ansatz der Verteilung des Gebäudes auf bahnzugehörige und kommerzielle Flächen zum Tragen kommen. Abgesehen davon darf man nicht vergessen, dass der Großteil der Bahnhöfe inzwischen den Kommunen oder privaten Trägern gehört und nicht mehr in der Verantwortung der DB AG liegt. Hier beschränkt sich der Eingriff von DB AG und Bund auf die Zugangsund Informationsbereiche zum und für das System Bahn.

Die bereits erwähnten, umfangreichen Bauprojekte von Bund, Ländern und DB AG ziehen einen großen Bedarf an akademischen und nichtakademischen Fachkräften nach sich. Mit dem von der Koalition ermöglichten Aufwuchs der finanziellen Mittel im System Bahn hat die Bau- und Bahnindustrie Planungssicherheit erhalten, so dass neben dem Interesse an den fachlichen Themen auch die berufliche Sicherheit ein gutes Argument für die Gewinnung von Nachwuchskräften sein kann.

Viele dieser Projekte dienen auch dem Deutschlandtakt. In der Schweiz bereits seit langem etabliert, bedeutet er für Deutschland ein Umdenken: der Zielfahrplan steht zuerst, dann erfolgt der Abgleich mit dem bestehenden Netz. Die so aufgezeigten Kapazitätsengpässe und Lücken im Netz bilden die Grundlage für die Planung von Aus- und ggf. auch Neubau. Um nicht nur die Fernverkehrsknoten miteinander zu verbinden, sondern viel Nutzen für die Reisenden auch in die Fläche hinein zu erzielen, wird die Gestaltung des Deutschlandtaktes in aufwendigen Bund-Länder-Konferenzen gemeinsam mit der DB InfraGO AG erarbeitet.

Initiativen für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr

Der Deutschlandtakt ist aber bei weitem nicht nur ein Personenverkehrsprojekt. Im Zielfahrplan sind insbesondere Güterzugtrassen für die speziellen Anforderungen des wachsenden Güterverkehrs eingeplant. Bei unveränderter, also nicht erhöhter Höchstgeschwindigkeit soll damit dennoch die Transportdauer verkürzt werden. Dafür werden die Überholgleise auf die europaweit geltenden 740 Meter verlängert, so dass die Güterzüge seltener anhalten müssen, um schnellere Personenzüge überholen zu lassen. Insgesamt können auf diese Weise pro Lok beziehungsweise Zugfahrt auch mehr Wagen gefahren und damit mehr Güter transportiert werden. Die Systemtrassen im Deutschlandtakt ist aber nur eine der Maßnahmen, mit denen der Schienengüterverkehr gestärkt werden soll. Um den bereits eingangs genannten, angestrebten Marktanteil von 25% zu erreichen, hat das BMDV daneben für die kommenden Jahre wieder ein ganzes Paket geschnürt, in dessen Fokus der Einzelwagenverkehr steht. Mit rund 1.400 angefahrenen Güterverkehrsstellen ist er das Rückgrat des Schienengüterverkehrs. Er ermöglich den Zugang zum europäischen Schienennetz in der Fläche und hat zentrale Grund- und Netzwerkfunktionen. Dennoch kann er derzeit aufgrund der kosten- und personalintensiven Zugbildung und Wagenaufstellung kaum wirtschaftlich betrieben werden. Hier schafft das BMDV mit einer gezielten Förderung Abhilfe.

Das Güterverkehrspaket beinhaltet auch die Förderung technischer Neuerungen zur Verbesserung der Wettbewerbsposition. Dazu dient unter anderem das Programm Zukunft Schienengüterverkehr (Z-SGV), mit dem bereits seit nunmehr drei Jahren der Investitionsstau im Schienengüterverkehr aufgelöst wird, indem aussichtsreichen Innovationen zu einer schnelleren Markteinführung verholfen werden. Entwicklungsfreudige Ingenieurinnen und Ingenieure finden hier gute Möglichkeiten, ihre Projekte einzubringen. Noch bis Sommer nächsten Jahres läuft außerdem die Förderung der Entwicklung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK). Wesentliche technische Fragestellungen in den letzten beiden Phasen sind die Robustheit der Kommunikationssysteme und das Entkuppeln am Ablaufberg. Große organisatorische, betriebliche und natürlich auch betriebswirtschaftliche Herausforderungen werden aber auf Hersteller und Wagenhalter dann zukommen, wenn es um die Einführung der DAK geht. Ungeachtet einer notwendigen finanziellen Förderung für die Umrüstung wird die rechtzeitige Herstellung einer ausreichenden Anzahl an Kupplungen sowie ein branchenweit koordiniertes Vorgehen für den Erfolg dieses Europa-Projekts von entscheidender Bedeutung sein.

Und schließlich soll die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene durch die Weiterführung der Trassenpreisförderung, die Förderung von Gleisanschlüssen und Anlagen, des kombinierten Verkehrs oder auch des Einzelwagenverkehrs unterstützt und so der Anteil der Schiene am Modalsplit von aktuell ca.19 Prozent deutlich gesteigert werden.

Ausblick

Die Bundesregierung bekennt sich so klar wie nie zum klimafreundlichen Verkehrsträger Schiene. Milliardeninvestitionen stehen für die nächsten Jahre an und schon heute ist klar, dass wir gemeinsam dafür viele starke Hände und schlaue Köpfe brauchen. Nutzen Sie ihre Chance, stellen Sie Kapazitäten bereit, machen Sie die Bahn zu einem Konjunkturprogramm und lassen Sie uns gemeinsam zeigen, was der Ingenieurstandort Deutschland leisten kann – für eine verlässliche, moderne und klimafreundliche Mobilität in unserem Land und ganz Europa.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2024 JAN/FEB

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